Dienstag, 25. Januar 2022

 

Es fehlt eine Gebäudeklasse im deutschen Baurecht: Ortsveränderliche Wohngebäude!

Mikrohäuser – z.B. Tiny Häuser – können nur schwer umgesetzt werden

 

Seit mehreren Jahren erfährt eine neue Wohngebäudeart großen Zuspruch: die in den Medien zumeist als „Tiny Häuser“ beschrieben Gebäude, die entweder auf eigenem straßenzugelassen Fahrgestell oder per Tieflader verlegt werden können.

 

Auch solche Wohngebäude unterliegen -ungeachtet ihrer Möglichkeit als ganzes Gebäude versetzt zu werden- allen baurechtlichen Vorschriften. 

Nach dem Baurecht ist es irrelevant, ob das Wohngebäude zusätzlich auch straßenverkehrszulassungsrechtliche Bedingungen zu erfüllen hat. Auch ein möglicherweise unzertrennlich mit dem Baukörper verbundenes Fahrgestell (Anhänger oder Trailer) hat baurechtliche keine Relevanz, sofern über die Festigkeit des Baukörpers ein ordnungsgemäßer Nachweis geführt wird.

 

Foto:
Roberto Nickson/Pexels über Verbraucherzentrale.de

Diese Möglichkeit der Ortsveränderlichkeit ist gerade ein Vorteil gerade dieser als „Tiny House on Wheels“ bezeichneten Gebäudearten, bringt allerdings folgende Besonderheit mit sich:

Bei der ersten Baugenehmigung wird das Mikrohaus als Neubau und dann fortan als Bestandsimmobilie eingestuft.

Will der Besitzer nun die mobile Möglichkeit eines Mikrohauses nutzen und es an einen neuen Ort verbringen, würde bei einem Bauantrag -am bisherigen Standort Bestandsimmobilie – das Mikrohaus am neuen Standort als „Neubau“ eingestuft werden müssen. Das heißt weiter, damit müssen alle jeweils aktuellen (!) baurechtlichen Anforderungen - hier z.B. auch das Gebäudeenergiegesetz – erfüllt sein.

Für den Fall, dass z.B. die Mindestanforderungen gem. GEG verändert wurden, würde diese Bestandsimmobilie nach einer Ortsverlegung nicht mehr genehmigungsfähig sein. Am alten Standort hätte sie als Bestandsimmobilie weiter genutzt werden dürfen.
Nach Ankündigung der Bundesregierung soll das im November 2020 in Kraft getretene Gebäudeenergiegesetz bereits im Jahre 2023 überprüft werden. Während derzeit für die Erstellung eines Wärmeschutznachweises als Standard EH-70 ausreicht, ist geplant, diesen ab 2023 auf EH-55 und möglicherweise ab 2025 auf EH-40 zu verändern. 

Alle ortsveränderlichen Mikrohäuser, die die heutigen Anforderung EH-70 erfüllen, werden bei Verlegung am neuen Standort nicht mehr genehmigungsfähig sein.

 

Deshalb sollten die gesetzlichen Grundlagen für ortsveränderliche Wohngebäude der Baukörper auch nach einer Standortverlegung als Bestandsimmobilie eingestuft werden.

Damit sollen aber alle weiteren baurechtlichen Anforderungen des neuen Standortes nicht automatisch „genehmigt“ sein.  Die lokalen Bedingungen gemäß Bebauungsplänen oder Gemeindesatzungen sowie statische Bedingungen hinsichtlich der Risikozonen - hier z.B. Windlastzonen – müssen auch am neuen Standort geprüft und genehmigt werden.

 

Daher fordert der Bundesverband Mikrohaus seit langem, dass den Besonderheiten der Mikrohäuser als „ortsveränderliche Gebäude“ im Baurecht eine besondere Gruppierung zugewiesen wird.

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Wann beginnt nun eigentlich das Weihnachtsfest?

Oder: Wann ist endlich der Adventsstress zu Ende?
Ein Versuch der Bestimmung des genauen Zeitpunktes

 

Die Tage vor Weihnachten – eigentlich exakt
Adventsstress ohne Ende?

ausgedrückt:der Advent – haben es in sich: der Stress der Vorbereitungen steigt täglich mit den Näherrücken des Festes am 24. Dezember.
Aber wann hat man es eigentlich am 24.12. geschafft? Wann beginnt nun genau das Weihnachtsfest? Ein Frage, die auch durch Recherchen auf den Webseiten der christlichen Kirchen nicht so leicht zu beantworten ist.


Grundsätzliches:

Neben dem Ende ist auch die Frage des Beginns der Vorweihnachtszeit kurz zu streifen. Zunächst: es gibt eigentlich keine Vorweihnachtszeit, sondern nur den Advent. Daher ist beispielsweise die Bezeichnung „Weihnachtsmarkt“ für die vielen Märkte im Advent eigentlich falsch.
Im engeren Sinne sind des die ersten vier Wochen des neuen Kirchenjahres, kurz: die rund vier Adventswochen. In einigen besonderen Fällen beginnt aber die 40-tägige Fastenzeit schon unmittelbar nach dem Martinstag. In der hauswirtschaftlichen Vorbereitung ist es der Santa Lucia –Tag (13.12.), mit dem die bäuerlichen Arbeiten enden und die Festvorbereitung beginnt.

24. Dezember:

Wenn wir von Heiligabend sprechen meinen wir eigentlich nicht den Abend im tageszeitlichen Ablauf – es gibt daher auch keinen „heiligen Morgen“ wie gelegentlich von Radiomoderatoren sinnigerweise benutzt. Die Begriff „Abend“  in diesem Zusammenhang bezieht sich auf den „Tag vor …“ in unserem Falle: (Rüst-) Tag vor dem „Heiligen Weihnachtstagen“. Wir kennen dies aus dem Begriff Sonnabend – das ist der Tag VOR dem Sonntag.
"Erscheinen" des Abendsterns
Also reicht diese Erklärung allein noch nicht aus. Daher müssen wir uns den Tagesablauf genauer anschauen, da wir anders als in den nordischen Ländern inkl. Estland keinen offiziellen Beginn haben. Die Ausrufung des offiziellen Weihnachtsfriedens  in der alten Hauptstadt Turkus seit dem Jahre 1320 ist beispielsweise in Finnland so bedeutend, dass er live im TV und Radio übertragen wird und allen Menschen den Beginn veranschaulicht.
In der antiken Zeiteinteilung endete der Tag mit dem Sonnenuntergang, so wie es die Juden bis heute praktizieren. Logischerweise gehört damit der Abend des 24. Dezember bereits zum Weihnachtstag, wie bis heute in der Kirche sichtbar. Die liturgische Farbe wechselt von lila (Fasten-/Bußzeiten) zu weiß (Christfeste). Dies wird immer dann sehr deutlich, wenn der Heiligabend auf einen Sonntag fällt: Im sonntäglichen Hauptgottesdienst am Morgen ist es noch lila die liturgische Farbe (und ohne „Tannenbaum“), am Nachmittag bereits weiß. Also muss das Weihnachtsfest irgendwie dazwischen beginnen.  
Denkbar als Beginn wäre auch der Zeitpunkt, an den die Geschäfte schließen: leider ist dieser Termin auch sehr unterschiedlich. Ich habe zwischen 12 und 14 Uhr sehr unterschiedliche Schließungszeiten gefunden, obwohl der Tag arbeitsrechtlich noch ein voller Werktag ist. Aber ein Blick in das Feiertagsgesetz hilf, eine Uhrzeit zu finden: Viele der Feiertagsgesetze der deutschen Bundesländer schreiben für den Heiligen Abend ab 14 Uhr vor, dass in der Gastronomie nur Musik gespielt werden darf, die dem weihnachtlichen Charakter entspricht. Wäre damit dann die Frage beantwortet?
Ich glaube nicht, denn die erste liturgische Feier des Weihnachtsfestes ist die Vesper (lat. vespera  „Abend“) als letzte hora des Tages. Sie ist das liturgische Abendgebet der Kirche und markiert das Ende des traditionellen Arbeitstages. Dies ist der Einbruch der Dunkelheit, in der man nicht mehr in natürlichem Licht arbeiten kann. Dieser Zeitpunkt findet in Polen große Beachtung mit dem erschienen – besser: Wahrnehmung  - des Abendsterns am sich verdunkelnden Himmel. Insofern sind eigentlich Christvespern, die bereits  um 14:30h oder 15h beginnen, viel zu früh. Da ist es in unseren Breiten noch hell. (Und auch beim Ende der sog. Kinder-Christvespern).
Sonnenuntergang am 24.12. in Leipzig
Schaut am in einen Kalender für die Sonnenuntergangszeiten am 24. Dezember z.B. für Leipzig, dann ist der Sonnenuntergang für 16:05 Uhr vorhergesagt und das Ende der „bürgerlichen Dämmerung“ auf 16:45 Uhr terminiert. 


Resümee:
Lars Bosse: Weihnachtsbeginn an Heilig Abend, wenn die Venus am Himmel sichtbar wird
Mit dem Abendstern beginnt Weihnachten

Damit wäre klar: mit dem Tagesgebet der Vesper an Heiligabend beginnt das Weihnachtsfest. Dies ist das Ende des Arbeitstages und beginnt eigentlich mit Einbruch der Dunkelheit. Damit wäre die Sichtbarkeit des Abendsternes ein untrügliches Zeichen für den Beginn des Weihnachtsfestes und dem Ende der adventlichen Fastenzeit.

Dienstag, 17. Juni 2014

Nationalhymnen beim public viewing - WM 2014




Erstes Spiel der deutschen Herrenfußballmannschaft während der WM in Brasilien- „public viewing“ bei Club International in Leipzig. Zahlreiche Gäste, sehr viele international erfahren. Nach den Begrüßungsworten des Präsidenten wenden sich alle den Monitoren zu: die beiden Mannschaften laufen ein, nehmen Aufstellung und die Hymnen werden gespielt. 
Die deutsche Hymne wird als erstes gespielt, zumindest 15 Teilnehmer erheben sich, die Gespräche verebben nicht – keiner singt mit. Danach die portugiesische Hymne- wieder kein Schweigen und die meisten, der zuvor standen, setzen sich. 

Ist das nun Respektlosigkeit, mangelnder Anstand oder Unwissenheit? 

Ich denke eher Unsicherheit bei Fernsehübertragungen und dann noch die gesellige Runde:
Beim öffentlichen Spielen einer Nationalhymne ist es geboten, sich von den Plätzen zu erheben, in aufrechter Haltung so lange stehenzubleiben, bis die Musik verklungen ist. Was das Mitsingen der eigenen Hymne betrifft, ist es schon schwerer mit einer verbindlichen Aussage. Des weiteren nehmen Männer nehmen gegebenenfalls ihre Kopfbedeckung ab, Frauen ist dies freigestellt. Bei Soldaten in Uniform ist es klarer: sie sind verpflichtet, den militärischen Gruß zu erweisen. Diese Respektbezeugungen sind grundsätzlich bei jeder Nationalhymne zu erweisen, unabhängig davon, ob es sich um die Hymne des eigenen oder eines anderen Landes handelt; ausgenommen sind Musikveranstaltungen, bei denen Nationalhymnen im Rahmen einer Konzertvorführung gespielt werden. 

Wie verhält man sich bei einer Fernsehübertragung?  Hier kommt es auf den Anlaß an: bei public viewing gilt die Öffentlichkeitsregel, auch bei der Übertragung. 

Die Stehenden haben es fast richtig gemacht (evtl. noch mitsingen, wie auf so mancher Fanmeile).
Bei den anderen bleibt die Entschuldigung der nicht ganz einfachen Klärung der Situation und der scheue Umgang mit Vaterlandsverbundenheit in Deutschland.






Etwas mehr zu den Nationalhymnen, besonders zu den Teilnehmerländern der WM2014 in Brasilien.

Montag, 25. Februar 2013

zur Zukunft der Industrie- und Handelskammern - ! oder ?



Angeblich wächst die Kritik an der gesetzlichen oder „Zwangs-“ Mitgliedschaft bei den Kammern in Deutschland. Umfragen der Kammer-organisation bei ihren Pflichtmitgliedern spiegeln ein anderes Bild wider: „Wer uns kennt, findet uns gut“ war das überraschende Ergebnis auch für die Verteidiger. Die Kritiker – anscheinend auch der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf - argumentieren mit einer verselbständigten Bürokratie oder der Höhe der Wahlbeteiligungen bei den IHK-Wahlen: derartig geringe Wahlbeteiligung (zumeist um die 10%) würde die demokratische Legitimation des Parlaments der Wirtschaft und ihren Repräsentanten absprechen. Diese Argumentation wird dann auch auf Meinungsäußerungen, amtliche Stellungnahmen und Beschlüsse der Vollversammlungen übertragen und führt mit unter zu Gerichtsentscheidungen, die bisherige Verhaltensmuster der Kammern grundsätzlich verbieten. Wie wird sich nun aber das Bundesverfassungsgericht dazu verhalten. Das gerade zahlreiche Organisationen um eine Stellungnahme gebeten hat.

 


Es ist eine Art Kleinkrieg, den die Kammergegner - im BffK vereinigt- gegen die Pflichtmitgliedschaften führen. Fast unendlich erscheint die Liste der Verfehlungen, der Selbstbedienung und Vetternwirtschaft, würde man die Menge der Aufzählung als Maßstab für die Qualität der Aussagen gleichsetzen. Richtig ist, dass in einigen Kammern nicht so gewirtschaftet oder gearbeitet wird, wie dies das Gesetz oder eigene Regelungen vorsehen – teilweise auch deshalb, weil nicht ausreichend kontrolliert wird. Außerdem ist das Personal in Haupt- und Ehrenamt geteilt, natürliche Interessengegensätze aufgrund öffentlichen Drucks aufgehoben und Kontrollmechanismen ritualisiert. Mehrfach wird kolportiert, dass die Kammern von Unternehmern „gebeipasst werden“, wie dies ein ehemaliger Hauptgeschäftsführer aus Niedersachsen selbstkritisch ausdrückte. Beamten- und Versorgungsmentalität bei den Mitarbeitern, Selbstbedienung und Bereicherung durch Auftragsvergaben zum Ehrenamt – das sind die gängigen Vorurteile, die leider durch Einzelbeispiele - wie jetzt gerade wieder bei der IHK in Potsdam -  immer wieder Nahrung erhalten. Besonders ärgerlich ist dies, wenn notwendige Reglungen nicht existieren oder Gesetze nicht eingehalten werden und dies erst vom bffk öffentlich gemacht wird. Da ist ein öffentlicher Vergleich mit einem Amateur-Verein öffentlich schnell hergestellt. 

 

Aber was soll nun werden?
Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft oder weitere Reform und Modernisierung der Kammern bei gesetzlicher Mitgliedschaft? Dieser Glaubensstreit kann nicht so leicht entschieden werden.

Die Aufhebung oder Aussetzung würde sicher mit einer Übergangsphase abgefedert werden – außer diePolitik, die dies allein zu entscheiden hat, würde dem spanischen Beispiel folgen: Innerhalb von rund zwei Wochen im Spätherbst 2010 wurden die Unternehmen von der Zahlung der Kammerbeiträge entbunden – „Zur Entlastung der Wirtschaft in der Krise“. [Zwischenzeitlich hat auch Griechenland die Pflichtmitgliedschaft aufgeben.]
Viele Kammern mit freiwilliger Mitgliedschaft gibt es weltweit: der skandinavisch-nordeuropäische Raum, die USA, die Neumitglieder der EU in Osteuropa oder die deutschen Auslandshandelskammern (z.B. AHK Polen) zeigen unterschiedlich, wie die Arbeit sich verändert und welche Verschiebungen notwendig sind. Die politische Beratung wurde zunächst zu Gunsten eines aktiven Mitgliedermanagements in der Bedeutung zurück stehen; auch das Angebot der IHK-Leistungen müsste am Markt gegen Konkurrenz im Wettbewerb verkauft werden (in Kooperation mit den Mitgliedern oder auch gegen sie). Die Aufgaben, die der Gesetzgeber den Kammer zuweisen würde, müsste er selbst bezahlen oder die Kammern damit beleihen, d.h. ihnen erlauben, einen kostendeckenden Beitrag dafürzu erheben.

Trotz der vorgetragenen Kritik an der gesetzlichen Mitgliedschaft, bietet diese zahlreiche Vorteile und Möglichkeiten. Diese müssen jetzt im Zusammenhang mit einer evtl. Befassung des Bundesverfassungsgerichtes mit dieser Frage, sorgfältig zusammengetragen und vorgebracht werden.
Viele Tätigkeitsfelder der Kammern sind nicht als wettbewerbliche Leistung oder Projektfinanzierung durch Unternehmen am Markt zu positionieren. Zudem gibt es Aufgabenfelder, die außerhalb von konkreten Wirtschaftlichkeitsberechungen und einer Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Betrieben liegen. Daher sollten sich die Kammern mit gesetzlicher Mitgliedschaft verstärkt um einige Aufgaben dieser Kategorie kümmern.

Hier sehe ich zunächst die Aufgabe als „Informationsbroker“. Angesichts der zahlreichen Quellen für Informationen,der Schwierigkeiten der Sichtung, Ordnung und Bewertung sollten die Kammern hier einen besonderen Service aufbauen. Frei von Werbung oder anderer Beeinflussung kann den Unternehmern hier ein Angebot gegeben werden, dass in dieser Form nicht kostendeckend privatwirtschaftlich angeboten werden kann.

Eine weitere Aufgabe besteht als wirtschaftlich orientierter think-tank oder „Denkfabrik“ einer Region. In Ruhe und ohne wirtschaftlichen Druck Ideen zu entwickeln und auf eine mögliche Machbarkeit hin zu prüfen wären hier proaktive Tätigkeitsfelder.

Ähnlich ist dies bei einer Aufgabe als Projektentwickler und –initiator für die Kammern gelagert: viele (eigene und vor allem neue ) Ideen für ein wirtschaftsfreundliches und –unterstützendes Umfeld können mit Hilfe der Kammern gerade die schwierige Anlaufphase beginnen oder überstehen. Hier könnten und sollten die Kammern eigene wirtschaftsfördernde Projekte entwickeln oder übernehmen und bis zur Phase eines sich selbst tragenden Managements steuern (Beispiel aus meiner Zeit bei der IHK zu Leipzig. "Wirtschaft trifft Wissenschaft" mit finanzieller Projektförderung der IHK). Dazu gehörte auch, das Scheitern einzuplanen und eventuelle Verluste auszugleichen. Kein Ziel darf es sein, dauerhafte Projekte zu betreiben oder ohne Evaluierung Projekte fortzuschreiben.

Diese Rolle als „ehrlicher Makler“ kann auch bei anderen Aufgaben zum Tragen kommen, z.B als Trusted-Third-Party. Häufig werden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit Evaluierungen und Prüfaufträgen beauftragt, die außerhalb der Buch- und Rechnungsprüfung liegen.  Warum nutzt gerade die öffentliche Hand nicht die gesetzlich garantierte kostenlose Expertise der Kammern? So könnten Kammern dann auch regionale oder überregionale neutrale Ratings aufstellen und dadurch die Wirtschaft fördern und fordern.

Gerade bei der Wirtschaftsförderung für eine Region gäbe noch viele ungenutzte Betätigungsfelder für die Kammern: Nun mögen manche sagen, dass die Unterstützung der Organisation von z.B. Wochenmärkten, die Vermarktung regionaler Spezialitätenauch in Form von Kochbüchern oder die Suchmaschinenoptimierung für die Region keine Kammeraufgaben sind. Aber warum eigentlich nicht?

Damit ist bereits einweiteres mögliches Tätigkeitsfeld angeschnitten: Netzwerke(n) der Region. Es sind weniger die Jahresempfänge und Gala-Veranstaltungen, als viel mehr konkrete b2b-Veranstaltungen mit dem Ziel, regionale Unternehmen zur freiwilligen Kooperation zubringen. Warum sollen immer nur gemeinsame Auslandsreisen die teilnehmenden Unternehmer enger verbinden? Können nicht auch regionale Kooperationsbörsen – z.B. mit Universitäten- , Visitenkartenpartys oder regelmäßige Unternehmensbesuche der Kammern für eine bessere Vernetzung sorgen? 

Neben den Tätigkeitsfeldern muss auch der Kritik an den Wahlen zu den Vollversammlungen der Kammern und der politische Willensbildungder unternehmerischen Interessensvertretung begegnet werden.  Hier würden neue Wege der Beteiligung sehr gut tun, besonders dadurch, weil das Internet Möglichkeiten kostengünstig schon bietet. Warum nicht ein Beispiel kopieren? Die "Piraten“- Partei hat bereits das öffentliche Leben in Deutschland revolutioniert: das „liquid feedback“ kann eine transparentere und größere Beteiligung der Unternehmen an der Willensbildung ermöglichen. Die politischen Parteien haben bereits begonnen, sich zu bemühen, Mitglieder und Wähler einzubinden – von der Aufstellung von Programmen für die Bundestagswahl oder bei der Wahl der Spitzenkandidaten. Wahlprogramme vor dem Wahlakt zu den Kammergremien oder Organen - wie Präsidenten und Hauptgeschäftsführer - , sind bisher noch nicht umgesetzt.

 Würde man noch einen großen Schritt weiter gehen, wären auch Elemente einer berufsständischen Kammer denkbar, wie etwa bei den freien Berufen: Versicherungsmakler, Immobilienmakleroder  Unternehmensberater sind die ersten Gruppen die mir einfallen. Die Normierung und Einhaltung von Standards oder Vorbereitung von selbst organisierten Versorgungswerken könnten den Aufgabenkanon der Kammern bei gesetzlicher Mitgliedschaft erweitern.

Vieles kann schon heute nicht allein in einem Kammerbezirk organisiert werden.  Daher sind überregionale Zusammenschlüssenotwendig, jedoch fehlt  regional übergeordneten Strukturen ein rechtlicher Rahmen. Das IHK-Gesetz regelt nur den Bestand regionalen Kammern und nicht die Strukturen auf Landes- und Bundesebene. Dadurch entstehen verschiedene Modelle in den Bundesländern und kosten Zeit bei der Abstimmung untereinander sowie eines einheitlichen Auftritts. Auch das Fehlen einer bundesweiten Regelung im IHK–Gesetzt macht den „Umweg“ über einen Verein bei der bundesweiten Interessenvertretung notwendig (DIHK e.V.). Wären da nicht anderen Modell der Zusammenarbeit oder Organisation zu suchen? Hier stehen auf der einen Seite das österreichische Modell einer Bundeskammer, die dann über Kammern der einzelnen Bundesländer die Aufsicht führt. Auf der anderen Seite wird das föderale Prinzip des Aufbaues von der Region zum Bund stehen. Welches der beiden Ansätze besser ist, wird schwer zu beantworten sein, aber eine gesetzliche Regelung über den regionalen Ansatz hinaus ist zwingend. Entscheidend aber bleibt, welche Aufgaben der Gesetzgeber den Kammernübertragen hat und welche Form er sich für seine Unterstützung wünscht. Über die Aufgabenzuordnung  muss allein der Gesetzgeberentscheiden. 

Lars Bosse